Sind Behinderte, die nicht arbeiten können, nichts Wert? Montag, 21. Februar 2005, 18:48:35
Da ist Blocher wieder schön ins Fettnäpfchen getreten. Ob er es wirklich so gemeint hat, wie es klingt, weiss ich nicht.
Update: Nach dem, was ich sonst noch so über Blochers Haltung zur Behinderung gefunden habe, gehe ich davon aus, dass er's wirklich so gemeint hat wie es klingt. Und offensichtlich steht er mit seiner Haltung keineswegs alleine da. Igitt.
- Arbeitswelt ist für Behinderte hart:
Im Sommer startete die SVP eine Kampagne gegen so genannte «Scheininvalide». Es ist geschmacklos, auf diese Art und Weise über Bezüger einer Invalidenrente herzuziehen.
[...]
Viele Personen, die in den letzten Jahren zu IV-Rentnern geworden sind, haben ihre Stelle wegen Umstrukturierungen verloren. Man darf nun nicht diesen Prozess zulassen und gleichzeitig von Scheininvaliden sprechen. Ich möchte aber auch keinen Hehl daraus machen, dass es auch in der Invalidenversiche rung Missbrauch gibt. Doch ich kenne keine Versicherung, die dieses Problem nicht hat.
- Behinderte sind Blochers neue Sündenböcke:
Glücklich, wer wie ich, ordentlich beschädigt im Rollstuhl sitzt! Alle anderen Behinderten stehen ab sofort im Verdacht, zu Blochers "Scheininvaliden" zu gehören. Das sind nach Blochers TA-Interview vom 13. Juni Menschen, die nach einer Krankheit das Ferienleben verewigen wollen. Damit das funktioniert, erschwindeln sie eine IV-Rente. Oder der Arbeitgeber schreibt sie "invalid", um unauffällig Arbeitsplätze abzubauen. "Die Missbräuche sind gigantisch" sagt Blocher und schafft mühelos die Kurve zu den Ausländern. Fünfundvierzig Prozent der Renten gehen an Ausländer behauptet er .Es sind aber nur 29 Prozent und nicht mehr als ihr proportionaler Anteil an der Arbeitsbevölkerung. Ein Sechstel der Renten geht nach Blocher ins Ausland. In Wirklichkeit sind es 50 Prozent weniger.
- Das politische Geschäft mit den Schweizer Behinderten:
Deshalb klage ich an: J´accuse Nationalrat Blocher, der weiss, was er den behinderten Menschen der Schweiz mit seinen diskriminierenden Pauschalisierungen antut und mit seinem verbitterten Weltbild und trotz seiner Milliarden im Grunde ein armer Tropf ist, j´accuse Justizministerin Metzler, die mit falschen Argumenten Anti-Behinderten-Politik betrieben hat und es historisch zu verantworten haben wird, einer breiten Bevölkerungsschicht ihr Verfassungsrecht verweigert zu haben, j´accuse Finanzminister Villiger, der trotz der vielen Schäfchen, die er längst schon im Trockenen hat, nicht die Verantwortung für seine gescheiterte Finanzpolitik übernimmt, j´accuse unsere nicht-behinderten PolitikerInnen, die zulassen, dass das Wahlvolk mit Schreckensszenarien manipuliert und die Betroffenen mit Massa-Argumenten eingeschüchtert werden, j´accuse unseren Nationalrat, der am 19. Oktober radikal zu erneuern ist, und unsere Regierung, die es noch immer bevorzugt, dem Volk statt einer langfristig weitaus billigeren Integration die weit teurere Separation zu verkaufen! Das "Zu-teuer"-Argument ist ein Scheinargument, und die Regierenden wissen es. Natürlich geht es immer ein bisschen ums Geld - wir haben ja keinen Gott mehr -, doch worum es unserer classe politique wirklich geht, ist es, die Behinderten aus dem Blickfeld zu bannen, das Strassenbild von jenen Verkrüppelungen zu säubern, die auch "uns" in jeder Sekunde - ein Ausrutscher auf einer rutschigen Treppe kann genügen - heimsuchen könnte. Davor müssen "wir" uns schützen, dafür müssen "wir" eine Festung bauen, die die Krüppel vor den Stadttoren hält. Das heisst, nein, "wir" müssen die Festung eben nicht bauen, denn die Festung steht schon, sie steht schon seit dem Mittelalter, sie stand schon zuvor. "Wir" müssen sie nur verteidigen.