Matthias: blog
Das Logfile über mein Leben im Netz.

Blogger sind exhibitionistisch, einsam, und verzweifelt Montag, 31. Januar 2005, 21:44:05

Der gestrige Beitrag von SF DRS über Blogs zeigt auf exemplarische Weise, wie man als kluger Mensch den heute üblichen schludrigen Sensations-Journalismus instrumentalisiert, um Publizität für etwas zu erhalten, das sonst niemand beachten würde.

Ein Herr mittleren Alters, nennen wir ihn sistm, lässt sich als Künstler bezeichnen. Er surft im Internet, sammelt dort aus anderer Leute Blogs diverse Bilder und Texte zusammen, spielt ein bisschen mit Photoshop herum, lässt das Resultat vergrössern, und tapeziert damit einige Wände.

So weit, so gut. Das erinnert an die seinerzeit so beliebten Fototapeten, die wir alle in unseren Kinderzimmern hatten.

Jetzt aber kommt der Gag:

Geschäftstüchtig wie der Mann ist, jubelt er die Tapeten einer bzgl. Internet wohl etwas naiven Galerie als "Ausstellung" unter. Diese lässt das (wohl in der Hoffnung, mit diesen verkorksten Tapeten doch noch Zuschauer zu generieren), von einem wohlfeilen Autoren zur Pop-Art à la Warhol hochstilisieren. Das pass sogar ganz gut, Warhol war ja auch vor allem für sein Selbstmarketing bekannt. Besagter Autor also schreibt:

So wie Pop-Art-Papst Andy Warhol zu Campbell's Suppendose griff, so nutzt auch SISTM populäre Fundstücke, um sie neu zu arrangieren und zu kommentieren. Er dramatisiert sie durch Überzeichnung: Psychedelische Bonbonfarben potenzieren die Oberflächlichkeit, die den vorgefundenen Webcam-Schnappschüssen anhaftet. So entsteht ein rauschhaftes Psychogramm einer Gesellschaft, die in der narzisstischen Selbstäusserung offenbar das letzte Mittel erkennt, auf ihre prekäre Befindlichkeit aufmerksam zu machen.

rauschhaftes Psychogramm? Der gute Mann hat wohl zuviele Joints geraucht. Das erklärt dann auch, weshalb er seine prekäre Befindlichkeit im Tagesanzeiger ausbreitet. Was die Tatsache, dass der Tagesanzeiger sowas abdruckt, über die prekäre Befindlichkeit des Tagesanzeigers sagt, darüber wollen wir lieber nicht nachdenken.

Die Tagesschau hat diese Lobhudelei jedenfalls wohl auch gelesen. Jedenfalls verbrät sie die Tapeten zu einem Bericht, der nicht nur die üblichen Klischees bedient: Internet-Benutzer sind Singles, einsam, narzistisch, suizidal. Nein, sie geht noch weiter und übernimmt eins zu eins den O-Ton des Herrn, der sich sistm nennt. Bloggende Internetbenutzer sind da nämlich noch viel schlimmer: Die haben nichts anderes zu tun, als mehrere Stunden täglich hemmungslos ihr Intimleben preiszugeben. Sie sind allesamt verzweifelt, einsam, etc; kurzum, alles was Goethe seinerzeit über den jungen W. geschrieben hat, wird von SF DRS in Tateinheit mit Herrn sistm hemmungslos rezykliert. Statt mit INCREDIBLE SUBJECTS hätte er die Ausstellung lieber mit Die allerneusten Leiden des jungen W. betiteln sollen.

Danke, Herr sistm, und danke, SF DRS, für den Bärendienst, den ihr der Blogszene Schweiz erwiesen habt. Sämtliche Anfragen von besorgten Pädagogen, Psychiatern und Internet-Voyeuren werden wir an euch weiterleiten.

Via Roger.